Intelligente Stromversorgung: Smart Grids, Blockchain, Prosumer

Zunächst darf ich mich für die Aneinanderreihung von Anglizismen entschuldigen. Aber Sie werden sehen, es lohnt sich.

Smart Grids, Smart Operator

Strom-Trasse-VerbraucherDer Stromverbrauch ist abhängig vom Verhalten der Menschen, Betriebe, Jahreszeit und Wetter. Dazu kommt noch der Netzausbau vor Ort: Welche elektrische Leistung kann das Netz maximal aufnehmen und sicher transportieren, damit alle Verbraucher zuverlässig Strom bekommen? Im Zuge der Energiewende treten hier oft Probleme auf. Ist gerade viel Windenergie verfügbar, muss sie sinnvoll ins Netz eingespeist aber auch verbraucht werden. Regelmäßig kommt es lokal zur Überproduktion an Strom, der dann bspw. durch Abschaltung einzelner Windräder oder ganzer Windradgruppen reduziert wird. Es fehlen im klassischen Netz Leitungen und auch ganz massiv Zwischenspeicher. Strom ist genug vorhanden. Nur nicht, wo und wann man ihn braucht.

Ein Lösungsansatz ist eine intelligentere Stromverteilung, auf Englisch Smart Grid, also intelligentes Netz. Was in der Nähe von Verbrauchern erzeugt wird, muss nicht erst zu großen Umspannwerken und Überlandleitungen transportiert werden. Intelligente Verteilungssysteme können den Bezug von Strom aus weit entfernten Kraftwerken oder Windparks steuern und die lokale Verteilung optimieren. Damit kann man Netze entlasten und sogar noch die lokale Wirtschaft stärken.

Smart Operator InnogyEine Verteilungseinheit vor Ort steuert die Stromproduktion und den Verbrauch. Innogy hat bereits einen fertigen Ansatz und nennt sein System Smart Operator. Bislang gab es Versuche mit einem Smart Grid bei bis zu 150 angeschlossenen Haushalten. Dazu wurde die Stromversorgung vor Ort umgeklemmt. Der intelligente Verteiler übernimmt die lokale Kontrolle. Das System sammelt permanent Daten über den aktuellen Verbrauch und errechnet daraus typische Verbrauchsmengen an unterschiedlichen Tagen, zu unterschiedlichen Temperaturen oder auch nach dem Nutzerverhalten der Erzeuger und Verbraucher.

Zeitsteuerung Stromverbrauch

Der Smart Operator und seine Nachfolger können prognostizieren: Um 23:30 wird es viel Strom geben. Schlau wäre es dann, eine Waschmaschine am Abend zu füllen und den Timer auf 23:30 zu stellen. Das wurde bereits mit einem kleinen Zusatzgerät in den Haushalten automatisiert und erfolgreich getestet. Noch weiter gedacht, können sich zukünftig schlaue Waschmaschinen mit dem Smart Operator auch bspw. über den Preis abstimmen. Operator an Waschmaschine: „Habe ab 23:30 günstig Strom, das Angebot läuft bis 06:00 am nächsten Morgen.“ Waschmaschine an Operator: „Ok, ich starte 23:30 und werde durchschnittlich 1 Kilowatt über 2 Stunden verbrauchen.“ Der Operator nimmt die Bestellung auf und verbucht sie in seiner Planung. Was nach Zukunftsmusik klingt, ist als Smart Grid längst Realität.

Smart Grid BeispielNatürlich funktioniert der gleiche Mechanismus auch für die Aufladung von E-Autos. Ist nachts reichlich Strom verfügbar, werden die Batterien schnell aufgeladen. Auch die alte Nachtspeicherheizung könnte eine Renaissance erleben. Zur Erinnerung: Ein Heizelement arbeitet nachts im Billigtarif und lädt einen Verbund von Schamottsteinen mit Hitze auf. Über Tag gibt der Heizkörper die Wärme wieder ab. Wenn mehr als genug erneuerbare Energie erzeugt wird, sind solche Heizsysteme einfache, günstige Puffer für Energiespitzen. Man muss ja nicht nur mit Schamottsteinen und heißer Luft arbeiten. Genau so sind gut isolierte Behälter mit Warmwasser geeignete und vor allem schnell verfügbare Zwischenspeicher. Ganz grob vereinfacht: Ist genug Ökostrom im Angebot, heizt ein Element das Wasser auf. Über einen recht langen Zeitraum kann dann bspw. eine Fußbodenheizung betrieben werden. Mögliche Energieverluste bei diesen Verfahren fallen bei Ökostrom nicht sonderlich ins Gewicht. Selbst bei einem mittelmäßigen Wirkungsgrad bleiben die Systeme CO2 neutral.

Die Umschalteinheiten können auch eine Angleichung der Frequenz im Netz steuern. Bekanntlich verwendet man als Strom aus der Steckdose 230 V, der mit 50 Hz getaktet ist. Starkstrom für Betriebe und Handwerk läuft mit 400 V, auch mit 50 Hz. Je nach Anschlüssen und Programmierung kann der Smart Op sehr genau einen passenden Strom mit passender Spannung sowie richtigem Takt anbieten.

Blockchain

Blockchain Schema ist eine Technologie, welche oftmals mit der Kryptowährung Bitcoins genannt wird. Vielleicht hat man den Begriff dort schon einmal gehört. Ganz kurz zusammengefasst und allgemeinverständlich verkürzt: Blockchain ist u.a. ein Buchungsverfahren. Hier wird nicht zentral, wie bei einer Bank, gebucht, sondern die Buchungen werden verteilt auf verschiedene Rechner. Das System ist sehr sicher, da sich die beteiligten Computer abstimmen. Im Nachhinein kann man keine Buchungen ändern, weil man sonst die Buchungen auf allen Rechnern anpassen müsste. Und da werden die beteiligten Computer bei einem Fehler ihr Veto einlegen. So ein System ist ideal zur Abrechnung von Stromerzeugung und Stromverbrauch, wenn es gleichzeitig viele Erzeuger und viele Verbraucher gibt. Es protokolliert zuverlässig, was an Energie „rein kommt“ und „raus geht“. Viel genauer und transparenter als ein Stromzähler.

Genau das ist bei der dezentralen Energieversorgung nötig. Zudem schwankt, je nach Lichtintensität, Wind, Biomasse, Kraft-Wärme-Kopplung, die Erzeugerleistung. Ein Haushalt mit bspw. einem Photovoltaik Solarpanel auf dem Dach kann nacheinander Erzeuger und Verbraucher sein. Also benötigt man ein Abrechnungssystem, das zuverlässig die Stromerzeugung und den Verbrauch auflistet sowie in eine Buchhaltungsfunktion überführt. Genau das kann Blockchain sehr gut. Und es ist obendrein egal, in welcher Währung das passiert. Euro, Kilowatt, Wärmeeinheiten oder der Kleinkleckersdorf-Energiedollar. Erst beim richtigen Zahlungsverkehr, also der Stromrechnung oder Einspeisungsvergütung, braucht man wieder ein allgemein gültiges Zahlungsmittel.

Das kann sehr, sehr weit reichende Folgen für die gesamte Energiewirtschaft haben. Städte und Gemeinden, Mittelständler, Landwirte und selbst der Hausbesitzer mit seiner Photovoltaikanlage werden gleichzeitig zu Energieerzeugern, Verbrauchern und Netzbetreibern. Obendrein können sie in ihrer eigenen Währung kostengünstig untereinander abrechnen. Die großen Energieversorger und auch die Banken bleiben mit den normalen Angeboten größtenteils außen vor. Solche Netze sind auf lokaler Ebene recht schnell machbar. Und wenn man mehrere lokale Netze miteinander verbindet, ergibt sich schnell eine richtig große Perspektive. Nicht umsonst arbeitet Innogy massiv an diesen Schlüsseltechnologien. Dazu kommen noch weitere Anbieter. Auch international laufen diverse Entwicklungen sowie natürlich auch Versuche.

Prosumer

Verbraucher (Consumer) schalten das Licht und die Waschmaschine an, dann läuft der Stromzähler. Der Prosumer, also ein Verbraucher mit höheren Ansprüchen, agiert viel weiter. Er möchte zuverlässig, günstig und idealerweise auch steuerbar seine Energie beziehen. Das kann eine möglichst günstige Aufladung des Elektroautos oder eine möglichst große Energiemenge zum Speichern in der Heizung sein. Intelligente Verteilmechanismen sind dazu in der Lage. Auch Betriebe können agieren. Die Grundlast für den Verbrauch von Maschinen und Büros während der Arbeitszeit muss sicher sein. Ein Rückhaltebecken zu leeren, läßt sich ggf. auf einen billigen Stromtarif verlagern. Oder der Wasserspeicher der Heizungsanlage wird elektrisch zu besonders günstigen Zeiten mit Strom erhitzt, damit die gespeicherte Energie später kontinuierlich für wohlige Wärme sorgt.

Sicherheit

Je mehr verschiedene Stromquellen an ein Netz angeschlossen werden, desto ausfallsicherer kann man es gestalten. Hier ist für die Sicherheit bedeutend mehr Initiative nötig als bislang. Beispielsweise die Steuerungen für Windkraftanlagen laufen meist normal über das Internet. Noch zu häufig sind sie schlecht geschützt. Alte Betriebssysteme oder zu offene Datenübertragung müssen verbessert werden. Aber seien wir ehrlich. Hier wurde in allen Bereichen lange geschlafen. Erst jetzt kommt die Cybertruppe der Bundeswehr mühsam in Gang. Landeskriminalämter oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationsverarbeitung bekommen erst langsam ein ausreichendes Budget für IT und Sicherheit. Nun, nichts spricht gegen einen Ausbau der Smart Grids mit zeitgleichen Verbesserungen der allgemeinen IT-Sicherheit. Das Problem liegt sowieso auf dem Tisch und sollte eine intelligente Stromverteilung nicht aufhalten. Immerhin sind die normalen Projektlaufzeiten der Anlagen bis zur Umsetzung ein guter Puffer.

Funktioniert

In Wertachau / Schwabmünchen sowie in Kisselbach und Wincheringen installierte Innogy Versuchsprojekte für Smart Grids. In Zusammenarbeit mit bspw. den Firmen Hoppecke (Batterien und Zwischenspeicher), Horlemann (Elektro), Stiebel Eltron (Heizung, Energie) und der Universität im niederländischen Twente oder auch der RWTH Aachen liefen Versuche. Die wichtige Software zur Steuerung kommt von der PSI AG. Das Netz war stabil. Viel des lokal erzeugten Stroms wurde bspw. direkt in der Nachbarschaft verbraucht und musste nicht erst aufwändig transportiert werden. Zurzeit, d.h. Mitte 2017, erfolgt die Auswertung. Der lokale Energieversorger zieht für Wertachau eine positive Bilanz, hier geht es zur Pressemitteilung der Lechwerke. Ca. 35% mehr Leistung wurde direkt vor Ort verteilt.

Wer also in einer Gemeinde schon alternative Energien erzeugt, sollte sich überlegen, ob so ein Projekt für sein Gebiet geeignet ist. Dabei können vom System her viele Anbieter und Verbraucher mitmachen. Egal, ob es die Kraft-Wärmekopplung der mittelständischen Firma, die Windenergie oder auch Solarparks sind: Alles kann kombiniert und intelligent verteilt werden. Wichtig ist, dass sich die Projektpartner abstimmen, was ihre Anlagen leisten können und ob sie mitmachen möchten. Beispielsweise eine mittelständische Firma mit einem eigenen Kraftwerk ist genau so ein möglicher Versorger, wie städtische Abfallbetriebe, das Hallenbad mit Kraft-Wärmekopplung, Hausbesitzer mit Solaranlagen, vielleicht noch ein altes Wasserkraftwerk am Flüsschen oder auch der Landwirt mit seiner Windkraftanlage. Dazu können verschiedenste Unternehmensformen mitspielen: Einzelpersonen, Familien, Genossenschaften, GmbHs, Gemeinden und Städte…..

Nächste Schritte

Smart Grid regionalEin Test an kleineren, lokalen Einheiten hat also funktioniert. Der nächste Schritt ist die Verbindung mehrerer lokaler Einheiten in einem regionalen Netz. Technisch gesehen bedeutet dies eine Erweiterung der Smart Grids von 230V und 400V auf die Mittelspannung – also die Spannung, welche von regionalen Umschaltwerken an Städte geliefert wird. Auch hier lassen sich intelligente Verteilungssysteme nutzen. Die lokalen Smart Operator sowie die Kontrolleinheiten melden ihre Energiewerte und Prognosen an regionale Rechner, welche dann zwischen Städten den Stromfluss optimieren. Damit kann dann der Strom aus Stadt A auch in der Stadt B genutzt werden. Schon hier kann ein Windpark eine Region versorgen und muss nicht erst mit seinem Strom auf die großen Trassen weiter- und dann in die Nachbarstadt zurückgeleitet werden. Derzeit laufen Planungen für Modellversuche.

Fördermittel

Für solche Neuentwicklungen sind reichlich Fördermittel verfügbar. Es sind Schlüsseltechnologien für die Zukunft der Energieversorgung. Wer zusätzlich Hochschulen und europäische Partner ins Boot holt, kann sehr hohe Förderquoten und sehr hohe Budgets einsetzen. Das ist längst noch nicht alles. Auch die erneuerbaren Energien vor Ort sind natürlich förderbar. Sinnvoll ist entsprechend eine übergreifende Planung, welche auch den Häuslebauer mit seinem Solarpanel, den Mittelständler mit seinem Kraftwerk, den Landwirt mit seiner Windenergieanlage oder die Stadtwerke mit ihrem Hallenbad einbezieht. Hier sind enorme Potentiale – sowohl für die Energieversorgung, wie auch für Zuschüsse und günstige Kredite. Hier lohnt sich auf alle Fälle eine Fördermittelberatung, damit man einen guten Mix zu einem hohen Prozentsatz erreicht.

Kooperationspartner

Viele Stadtwerke, lokale Energieversorger oder Firmen und Privatleute sind in Smart Grids einbindbar. Das kann erst einmal für Fördermittel einen gewaltigen Pluspunkt darstellen, weil Verbundvorhaben zusätzliche Fördermöglichkeiten bieten. Nimmt man dazu noch Forschung mit Hochschulen und Instituten oder Pilotprojekte ins Boot, reichen die Möglichkeiten teilweise bis zur EU-Ebene. Auf jeden Fall ist eine gut koordinierte Antragsstellung wichtig. Ganz nebenbei bekommen die Dienstleister und Handwerker bei den Projekten ein erhebliches Know-How für einen interessanten Zukunftsmarkt. Und selbst hierbei sind Förderungen möglich: Qualifikation von Mitarbeitern und Eröffnung neuer Geschäftsfelder.

Zukunft

Umweltfreundliche Energieversorgung lässt sich bedeutend besser ins Stromnetz integrieren. Die Ausfallsicherheit steigt. Die lokale Wirtschaft wird gestärkt – bis hin zum Häuslebauer mit seinem Solarpanel. Es werden weniger der großen Stromtrassen benötigt und man bekommt einen Zeitgewinn für deren Ausbau. Arbeitsplätze für Aufbau und Wartung der Anlagen entstehen. Wahrscheinlich deutlich mehr als heute Menschen in Kraftwerken arbeiten. Und trotzdem muss der Strom nicht teurer werden. Er wird einfach sinnvoller genutzt. Die Energiewende kommt schneller mit geringeren Investitionen, weil sich viele Dinge gut gegenrechnen. Dazu kommt eine schnellere Unabhäbhängigkeit von dubiosen Staaten wie Russland, Saudi-Arabien, Katar, Iran, Irak und weiteren Störenfrieden. Die USA können mit ihrem Ölgeschäft weniger die europäische Wirtschaft beeinflussen. Man bekommt langfristige Wettbewerbsvorteile gegenüber China. Also, worauf noch warten?